Sexismus- und Belästigungs-Bingo
Warum Sexismus gelebter Alltag ist
Ich muss meine Gedanken mitteilen. Das Treffen mit einer Freundin war lustig und schön, tiefgründig und wohltuend, aber hat mich auch zum Nachdenken angeregt. Ein Belästigungs- und Sexismus-Bingo, welches ich bei einem WhatsApp-Kontakt gesehen und mir schicken lasse habe, gab den Anstoß. Deshalb haben wir uns heute Storys erzählt, die wir bisher schon erlebt haben. Wir beide haben bei all den 18 Punkten, die aufgelistet sind, leider eine, wenn nicht mehr Geschichten zu erzählen gehabt. Ist es nicht traurig, dass wir Frauen so viel erleben, was wir im Grunde gar nicht wollen? Das wir angefasst werden, ohne dass wir es möchten? Das man uns beleidigt, weil wir „Nein“ sagen und uns dann weiterhin bedrängt? Das ein „Nein“ oftmals nicht akzeptiert, gar belächelt wird? Das wir uns „nicht so anstellen sollen“ und vieles mehr?
Ich finde es traurig und erschreckend zugleich! Denn es gibt immer noch offenen Sexismus und indirekten Sexismus. Im Alltag, im Job, beim Einkaufen, beim Feiern – überall. Ja, auch im Jahre 2021 noch.
Ich kenne meine eigenen Erfahrungen und die reichen wirklich für 2 Leben, aber wenn ich Geschichten von Freundinnen und Bekannten dazu nehme, wird es wirklich einfach nur noch ekelhaft. Ich kenne Frauen, die wurden körperlich und seelisch missbraucht, vergewaltigt und verprügelt – all das ist grausam und dafür gibt es keine Entschuldigung. Aber es fängt doch alles schon so viel früher an. Ein ignoriertes „Nein“, ein Arschgrabscher in der Disco, abfällige Bemerkungen im Job, Reduzierung auf das Geschlecht, Schuldzuweisungen bezogen auf Kleidung oder Make-Up, Können oder Fähigkeiten und vieles mehr. Sexismus ist immer noch gelebter Alltag und ich bin ehrlich schockiert, für wie viele Menschen und besonders Männer, all das immer noch „normal“ zu sein scheint.
Herunterspielen von Sexismus im Alltag
„Ach, der meint das doch nicht so. Ist doch eigentlich ein Kompliment.“ Ach wirklich? Wenn ein Fremder mir an den Arsch packt, einfach so – dann ist das ein Kompliment? Ok. Also für mich ist das übergriffig und unfassbar respektlos. Ich bin kein Objekt und sicher nicht wie Obst in der Auslage, keiner hat das Recht mich einfach anzupacken. In einer vollen Disco wird das oft ausgenutzt, dass man nicht weiß, welche Hand es gewesen ist, weil alles eng an eng steht. Nicht ok, dennoch für mich schon ungewöhnlich, wenn es an einem Abend mal nicht passiert. Sagt das nicht auch schon alles?
Ein anderes Kaliber haben Aktionen, die weiter gehen. Denn als junges Mädchen, im Schwimmbad, nur im Badeanzug, wenn dir ein älterer Junge deine Flipflops stiehlt und ins Wasser wirft, dir dann hinterher springt, während du deine einzigen paar „Schuhe“ retten willst und dir dann im Wasser einfach zwischen deine Beine, in deinen Schritt packt, willst du nur noch schnell zum Rand schwimmen – einfach nur ganz weit weg. Dann weiß man nicht nur, wer es war. Dann weiß man auch, dass es pure Absicht und eine große Grenzüberschreitung war. Dann fühlt man sich nicht nur schmutzig, sondern auch unfassbar mies. Ein fremder junger Mann hat einem zwischen die Beine gepackt, wo einen sonst noch nie jemand angefasst hat. Man selbst hat nichts falsch gemacht, aber man fühlt sich so ekelhaft und besudelt, unwohl und machtlos. Ich habe dieses Freibad nie wieder betreten und auch das Erlebnis werde ich nie wieder vergessen. Es ist mehr als 16 Jahre her, dennoch erinnere ich mich daran, als wäre es gestern gewesen, weil dieses Gefühl nicht in Vergessenheit geriet. Und leider ist es nicht das einzige Erlebnis dieser Art geblieben. Als junges Mädchen, bis jetzt, als 30jährige Frau, habe ich viel zu viele solcher Momente erlebt. Viel zu viele übergriffige Jungs und Männer getroffen, die mich oder andere Frauen unangemessen angemacht oder angefasst haben. Jungs und Männer, die mich beleidigt, belästigt und/oder einfach angefasst haben, die ein „Nein“ nicht akzeptiert und meine Grenzen überschritten haben. Männer, die sogar mehrfach übergriffig und respektlos wurden. Selbst im Job wird man aufgrund des Geschlechts oft noch herabgesetzt, denn die Frau kann ja “Besser Kaffee kochen” etc.
„Nein heißt Nein!“
Mir ist wichtig, dass das ankommt. Bitte akzeptiert und respektiert ein Nein. Nein, ich will deine Nummer nicht. Nein, ich will keinen Kuss. Nein, ich will nicht, dass du mich anfasst. Nein, ich möchte deinen Kaffee nicht kochen. Nein heißt Nein. Und unter Respekt verstehe ich etwas anderes.
Kommunikation unter Männern
Ich würde mich freuen, wenn so ein Verhalten unter Jungs, gerade im Teenager-Alter und auch bei Männern nicht als „cool“, „mutig“ oder „männlich“ angesehen wird. Wenn Jungs und Männer untereinander kommunizieren würden, wie falsch und respektlos all das einer Frau gegenüber ist – würden viel mehr aufhören, zu prahlen oder es als „normal“ zu betrachten. Die Männer müssten bei solchen „Geschichten“ und Aktionen einschreiten und sich untereinander ermahnen und daran erinnern, dass das nicht ok ist. Ich denke, genau das würde mehr bringen, als dass wir Frauen das stets und ständig sagen. Dazu gehören auch abfällige Sprüche und herabwürdigende Aussagen, egal ob sie auf körperlicher oder intellektueller Ebene sind. Das Umdenken muss in den Köpfen ankommen und gelebt werden.
Ich bin weder prüde, noch verklemmt. Im Gegenteil. Ich bin eine offene, junge Frau, die zu ihrem Körper steht und ihre Sexualität frei und offen lebt. Dennoch möchte ich nicht ungefragt angefasst werden, keine „Ich will deine Titten vollspritzen“ Nachrichten in meinem Posteingang lesen oder ungefragt DickPics gesendet bekommen. Mein „Nein“ sollte akzeptiert und meine Meinung respektiert werden. Ich bin z. B. gegen die Frauenquote und finde das Gendern in Gänze als Maßnahme zur Gleichberechtigung unnötig und Quatsch.
Ich möchte meinen Job nicht bekommen, weil ich eine Frau bin, sondern weil ich kompetent bin. Ich möchte Gleichberechtigung in beide Richtungen. Das bedeutet aber auch, dass der Mann den Job bekommt, wenn er besser qualifiziert ist und er vielleicht besser ins Team passt, als ich. Aber bekomme ich den Job, habe ich mich weder hochgeschlafen, noch erfülle ich nur die blöde Quote. Ich bin gut in meinem Job, ja, auch als Frau. Kaum zu glauben!
Und nein, ich bin auch nicht „arrogant“, „untervögelt“ oder „muss mal richtig gebumst werden“, nur weil ich meine Nummer nicht rausrücke, meine Grenzen klar kommuniziere oder nicht jedem Vogel antworte, der mir schreibt oder mich anspricht. Und bin weder zickig noch übertreibe ich, wenn ich nicht möchte, dass man mich auf mein Geschlecht reduziert.
Ich habe keine Ahnung, wieso wir Menschen so miteinander umgehen und viele Männer immer noch denken, dass das Verhalten „männlich“ sei oder sich „Frauen aber auch anstellen“ oder all das ja nur „Komplimente“ oder “Scherze” sind. Danke, aber NEIN DANKE!
Die Sexualisierung der Frau (en Körper)
Die ständige Sexualisierung der Frau und unserer Körper ist nicht in Ordnung. Ich bin mehr als mein Körper, fühle mich aber oftmals wie ein Stück Fleisch in einer Fleischtheke. Woher kommt das? Ich verstehe es wirklich nicht. Ein Frauenkörper ist schön anzusehen, keine Frage. Ein Männerkörper ebenfalls. Aber wieso werden Frauen oft noch extrem sexualisiert und auf ihre oft Körperteile reduziert?
Keinem Mann gibt es das Recht, mich anzutatschen oder sonstiges, nur weil ich z. B. ein Kleid trage oder einen Ausschnitt anhabe. Aussagen wie „Da darfst du dich nicht wundern, bei dem Dekolleté“ – regen mich so auf, da könnte ich im Strahl kotzen. Worüber darf ich mich denn nicht wundern? Das unterbelichtete, gefühlt vom Affen abstammende, schwanzgetriebene und unfassbar respektlose Männer mich angaffen? Sich danebenbenehmen und mich vielleicht sogar anfassen? Meine Grenzen nicht respektieren und sich dann übergriffig verhalten?
Ist das dann meine Schuld, weil ich ein Kleid oder Ausschnitt trage? Gewiss nicht!!! Ist es nicht vielmehr deren Problem, die Grenzen anderer Menschen, besonders Frauen, nicht zu respektieren und sich vollends danebenzubenehmen? OH JA!! Kein Outfit der Welt bringt einen Mann dazu, eine Frau zu vergewaltigen. Kein Outfit der Welt gibt einem Mann das Recht dazu, eine Frau anzufassen. Und in Umfragen ist bestätigt worden, dass die meisten Frauen, die zu “Opfern” wurden, weder aufreizend gekleidet noch sonderlich stark gestylt und/oder geschminkt waren. Mich machen solche Aussagen sehr wütend. Ich bin kein Objekt und möchte auch so nicht betrachtet werden. Mein Körper ist MEIN Körper und nur ich sollte bestimmen dürfen, was damit passiert. Ich entscheide, wer mich anfassen darf, wie man mich anfassen darf und wann. Sonst niemand!
Und zu dieser Art von Belästigung und Grenzüberschreitung gehören auch Nachrichten und Kommentare, sowohl online, als auch offline. Wie viele Kommentare sehe ich bei Frauen, die Bilder hochladen, die ca. so klingen “Boah, geiler Arsch, den will ich mal ficken.” oder “Geile Titten, auf die möchte ich mal abspritzen” oder “Was für ein Mund, was der wohl alles kann?”. Ein normales Foto und solch Kommentare von Männern, die denken, dass das OK ist. Und ihr denkt vielleicht “Selber Schuld, wenn man Fotos hochlädt?” NEIN! Das ist wieder einmal nicht die Schuld der Frau, sondern das Fehlverhalten der Männer. Und ja, ich habe all die Sätze auch offline schon gehört und jetzt haltet euch fest, oftmals an Tagen, an denen ich mich nicht zurecht gemacht habe und für mein Empfinden “scheiße” aussah. Verrückt, oder?
Männer, das geht so nicht! Weder online, noch offline! Selbst wenn die Frau für euch einen wundervollen Mund, pralle Brüste und einen wunderschönen Po haben, sind solche Kommentare respektlos, unpassend, sexistisch und absolut asozial!
Und ja, deshalb entscheide ich auch ganz allein, was ich anziehe und worin ich mich wohl fühle. Ich entscheide, ob ich mich freizügig oder weniger freizügig kleide und zeige. Und auch, wie ich mich schminke. Ich entscheide, ob ich einen BH trage oder nicht und ob ich mich rasiere. Kein anderer Mensch hat das Recht zu beurteilen, ob das richtig oder falsch ist. Es ist mein Körper, mein Leben und ich entscheide. Meine Körperteile gehören alle zu mir. Und ob eine Frau einen großen oder kleinen Busen, einen prallen oder weniger prallen Po hat, spielt einfach keine Rolle. Ein Busen ist ein Busen, wenn ein Mann diesen stets sexualisiert, ist das SEIN, nicht ihr oder mein Problem. Frauen sollten sein dürfen, wie sie sind und ihre Körper ebenfalls. Und wir “provozieren” nicht, nur weil wir uns hübsch machen oder enge Sachen tragen! Männer müssen dringend lernen, Frauen nicht zu objektifizieren und ihr Verhalten endlich anzupassen. Nichts gibt einem Menschen die Rechtfertigung, so respektlos mit einem anderen Menschen umzugehen! PUNKT.
„Mehr Frauen in Führungspositionen sind meiner Meinung nach nicht die Lösung gegen Sexismus im Job. Auch nicht die Lösung für Gleichberechtigung. Ein Umdenken in den Köpfen kann & muss die Lösung sein. Frauen nicht mehr als minderwertig anzusehen, sondern wirklich als gleichwertig anzuerkennen!“
[Isabel Kulessa]
Trugschluss der Männer
Und der größte Trugschluss ist doch, dass wir Frauen uns z. B. so anziehen „für“ oder „wegen“ euch. Ganz ehrlich – Nein. Es mag sicher Frauen geben, für die das so ist. Aber ich sag euch was – ich ziehe an, was MIR gefällt und worin ICH mich wohl fühle, und verschwende keinen Gedanken daran, wie es der Männerwelt damit so geht. An einem Tag fühle ich mich nach Schlabber-Pulli, Jeans und Sneaker und am nächsten Tag trage ich ein enges Top mit Ausschnitt und dazu hohe Schuhe. Und warum? Sicher nicht, weil ich mir Gedanken darüber mache, wie die Männer das so finden. Nein, weil ich es kann, weil ich es möchte. Ich schminke mich, für mich, ich finde es schön und fühle mich so wohl. Ich trage schöne Unterwäsche ebenfalls für mich. Habe ich einen Partner, freue ich mich, wenn er sich ebenfalls darüber freut, klar. Aber primär trage ich sie, weil ich mich damit gut fühle. Unsere Welt dreht sich nicht nur darum, euch zu gefallen, sorry not sorry.
Wir sexualisieren uns selbst nicht in einer Tour und möchten auch nicht von euch stets sexualisiert und/oder objektifiziert werden! Danke. Und Fragen wie: „Uh, wen willst du denn eifersüchtig/heiß machen?“ nerven. Ich trage ein Outfit nicht mit diesem Ziel oder Zweck. Männer, die Welt dreht sich nicht um euch, findet euch endlich damit ab. Frauen sind gleichwert und gleichberechtigt, nur muss das noch in euren Herzen und Köpfen ankommen.
Und wir sind keine Bedrohung für euch. Wir sind genauso wertvoll. Wir sind kompetent, wir sind stark und intelligent- genau wie ihr. Wir können GEMEINSAM arbeiten, miteinander und füreinander. Jeder sollte sein können, wie er ist. Jeder hat seine Stärken und Schwächen, unabhängig vom Geschlecht.
Sexismus, Sexualisierung, Herabwürdigung, Diskriminierung, Rassismus und Co. hat in einem guten Miteinander einfach nichts zu suchen. MENSCH sein, menschlich sein. Liebe!
Ich sende Liebe raus an euch.
Eure Isabel
Weitere Infos zum Thema
1. Sexismus im Alltag | Pilotstudie
Hier kommt ihr zur Studie.
2. Zoten, Sprüche, Herrenwitze: Die Sexismusdebatte
Hier kommt ihr zur Debatte.
Isabel Kulessa
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