Toxische Männlichkeit | Warum starke Männer weinen sollten

30. Jul 2020

„Männer begehen 3 x so häufig Suizid wie Frauen, weil ihre psychische Gesundheit unter vielen sozialen Komponenten leidet“ (Quelle: ZDFinfo). Der Zusammenhang von Erziehung und psychischen Probleme bei Männern, hängen, laut Experten, eng zusammen. Häufig sind weiche Eigenschaften bei Jungs nicht gerne gesehen. Ihnen wird beigebracht, nicht zu weinen, stark zu sein, nicht über die Gefühle zu reden, sondern schweigend zu ertragen. Wer kennt so Sätze wie

„Stell dich nicht so an wie ein Mädchen.“  nicht?!

Warum das aufhören muss, werde ich im folgenden Artikel erläutern!

Ein Grund mehr, warum sich Jungs und auch Männer im Alter nicht mit ihren Gefühlen auseinandersetzen, sich nicht selber reflektieren und darüber reden können – ist die Erziehung und das Umfeld, in dem sie aufwachsen. Dieses Hineinfressen von Sorgen und Gefühlen kann zu psychischen Problemen und im schlimmsten Falle zu Depressionen, Suizid-Gedanken und Suizid führen.

Toxische Männlichkeit

Toxische Männlichkeit ist ein Konzept, welches die vorherrschende Vorstellung von Männlichkeit in unserer Gesellschaft beschreibt. Es umfasst das Verhalten, das Selbstbild und die Beziehungskonzepte von Männern sowie kollektive männliche Strukturen.

Anerzogene Klischees unterstützen das Problem extrem. Männer nehmen mehr Risiken auf sich, hören weniger auf ihren Körper und Signale, weil sie denken, sie müssen stark sein – immer. Vorsorgeuntersuchungen werden gerne abgetan, einen Arzt brauchen sie nicht – die Divise: bloß keine Schwäche zeigen.

Dazu trinken Männer gerne mal wie Wikinger und Rauchen wie Cowboys, weil das auch zum „Mann-Sein“ dazu gehört. Männer die sich stattdessen eine Cola bestellen, weil sie Bier vllt. gar nicht mögen, werden unter Ihresgleichen belächelt. Außerdem senken diese Gewohnheiten die Lebenserwartung von Männern drastisch nach unten.

Dieses Phänomen nennt man, wie eingangs erwähnt, „toxische Männlichkeit“. Dabei geht es nicht um Männlichkeit an sich, sondern um die Männlichkeit, die einem Mann schadet. Diese Männlichkeit muss immer wieder bewiesen werden, z. B. durch die Einordnung in eine Hierarchie, Vergleiche oder einem Karriereaufstieg. Es fängt doch schon mit Mutproben und erniedrigende Ritualen auf dem Schulhof an und geht weiter bis zur Bundeswehr und reicht weit ins Berufsleben.

Mut zur vermeintlichen “Schwäche”

Wer hat das nicht selbst schon erlebt, dass ein Mann keine Schwäche zugeben wollte, aus Angst, er würde weich oder weniger männlich wirken? Ich glaube, wir alle kennen mindestens einen Mann, der sich dieser Angst schon mal gegenübergestellt hat und nur aus diesem banalen und unsinnigen Grund, nicht zu seinen Gefühlen stand. Bist du gerade Leser dieses Artikels und männlich? Gut. Dann sage ich dir was: du darfst dich gerne wiederfinden in meinen Worten und:

Männer und auch Du – dürfen überfordert sein, sich hilflos fühlen und Ängste und Sorgen haben – und ja – diese sogar offen äußern! Sie dürfen darüber reden, sich Rat und Hilfe suchen und das ganz ohne ihre Männlichkeit zu verlieren. Ist das nicht toll?

Jetzt räumen wir mal mit Klischees oder dummen Sprüchen auf

„Echte Männer können immer“ – auch ein Trugschluss und eine Erwartung, die extremen Druck auf die Männerwelt ausübt. Kein Mensch kann immer funktionieren. Ein Mann ist kein Roboter und funktioniert immer. Wieso sollte das bei dem Thema dann so sein? Völliger Quatsch. Wir wissen das und ihr Männer solltet das auch wissen und akzeptieren – Ihr könnt nicht immer und das ist auch ok so. Denn auch Stress, Sorgen, Ängste oder selbst Müdigkeit können beim Mann genau das Gegenteil hervorrufen & das ist vollkommen menschlich und absolut ok! Offene Kommunikation mit dem Partner*in ist hier der Schlüssel.

„Echte Männer weinen nicht“ – Gott, wie ich diese Aussage hasse. Ich finde es sogar extrem sexy & super männlich, wenn Männer weinen. Es ist in meinen Augen sehr stark, zu seinen Gefühlen zu stehen und diesen dann freien Lauf zu lassen. Wir sind MENSCHEN, egal welches Geschlecht wir haben. Ist ein Film traurig, darf auch der Mann zum Taschentuch greifen. Warum auch nicht? Ich will keinen gefühlskalten Klotz, der denkt, er müsse hart und stark bleiben, obwohl gerade sein Hund stirbt. Nein, verdammt. Du als Mann darfst weinen, dich in den Arm nehmen und trösten lassen, weil Gefühle nichts schlechtes oder gar Unmännliches sind. Sie sind menschlich! Sie sind gut und manchmal auch einfach notwendig! 

„Echte Männer wollen sich behaupten“ – auch das ist völliger Blödsinn. Gerade im Job gehen Männer oft einen Kampf ein, der nicht gekämpft werden müsste oder den sie eigentlich gar nicht kämpfen wollen. Wettbewerb, wer ist der Bessere und andere Machtkämpfe finden häufig statt, weil gedacht wird, sie werden von ihnen erwartet. Anstatt Kooperationen einzugehen, sich gegenseitig zu unterstützen und besser zu machen, wird gegeneinander gekämpft. Einfach schade. Aber wir sind nicht im Mittelalter und müssen Schwertkämpfe ausfechten, um zu überleben. Also macht euch locker Männer. Und wenn ihr nicht der beste Mitarbeiter seid, der die Beförderung bekommt, seid ihr nicht weniger wert. Ihr dürft scheitern, ihr müsst KEINE Karriere machen und seid trotzdem männlich und genauso viel wert! Ein Trugschluss, dass jeder Mann Karriere machen und aufsteigen will. Willst du das nicht, ist das deine Entscheidung. Diese Erwartungshaltung an „Männer“ ist einfach ebenfalls völliger Quatsch und hat nichts mit Männlichkeit zu tun. 

„Echte Männer haben keine Sorgen“ – genau, Männer stellen sich nur Herausforderungen und finden Lösungen. Am besten immer und alleine, sofort. Der größte Bullshit. Natürlich nicht. Männer haben genauso Ängste und Sorgen, diese sie alleine nicht gelöst bekommen. Bitten sie um Hilfe? Nein. Warum? Weil das schwach wirken könnte. Oh man. Davon müssen sich die Männer endlich frei- uns losmachen. Hilfe suchen, annehmen, gemeinsam Lösungen finden, miteinander reden und die Sorgen aus der Welt schaffen, das können nicht nur Frauen. Gewiss nicht. Es kann so einfach sein, wenn man es einfach macht. Try it & trust me!

„Echte Männer können nicht vergewaltigt werden“ – falsch. Doch häufig hört man dann zusätzlich Sätze wie: „Aber er hätte sich doch wehren können/müssen.“ Und auch das ist falsch. Auch Männer können in Gefahrensituationen die Kontrolle verlieren, sich wie versteinert oder hilflos fühlen. Der Täter kann ihn genauso bedrohen und zwingen, wie er das bei einer Frau kann. Und er könnte einen Mann genauso unter Drogen oder Alkohol setzen, wie eine Frau. Ganz wichtig zu verstehen ist, dass eine Erektion noch lange nicht bedeutet, dass ein Mann mit dem Sex auch einverstanden ist. Denn ähnlich wie bei einer weiblichen Erektion kann die männliche Erektion durch mechanische Stimulation ausgelöst werden. Und das eben auch, wenn der Mann dem Sex in keiner Weise zustimmt. Erregung und Stimulation sind nämlich zwei unterschiedliche Dinge. Die Stimulation ist eine physische Reaktion auf einen Reiz. Männer können demnach körperlich stimuliert werden, ohne dass sie das Gefühl erregt.
Aus Angst vor sozialer Stigmatisierung, nicht ernst genommen werden oder anderer Scham melden viele Männer sexuelle und körperliche Übergriffe nicht. Schwere emotionale und körperliche Traumata entstehen auch bei Männern und sollten nicht klein geredet werden. Redet darüber!

 

Warum alles was ihr wollt, männlich sein kann

Lasst euch gesagt sein, Männer, wenn euer Verhalten, welches nicht zum „Klischee-Mann“ passt, belächelt oder kleingeredet wird, dann sollte euch das maximal egal sein. Klar kann das verletzend sein, keine Frage – sicher kann das auch zeitweise verunsichern. Denn verurteilen, beleidigen, beschimpfen oder gar diskriminieren lassen möchte sich niemand – logisch. Aber glaubt mir bitte: Die, die genau das mit euch machen, haben das eigentliche Problem, nicht ihr!

Denn ihr selbst bestimmt, was für euch männlich ist und wie ihr sein wollt. Ist es für euch männlich, Musicals toll zu finden und diese nachzusingen? Gut! Ist es für euch männlich, mit den Kindern zuhause zu bleiben statt Karriere zu machen, während die Frau arbeiten geht? Gut! Ist es für euch männlich, gerne Liebesfilme zu schauen & dabei zu weinen? Gut! Denn es ist alles verdammt nochmal ok und absolut männlich, lasst euch nichts Anderes einreden! Du kannst auch Fußball mögen, gerne Bier trinken und keine Liebesfilme schauen, auch das ist völlig ok und absolut männlich. Und warum? Weil du du bist und du machen kannst, wonach dir der Sinn steht und es einfach ok ist, wenn es dir Freude bereitet & du niemandem damit Schaden zufügst. Denn es ist dein Leben, es sind deine Interessen und du musst in kein Klischee oder Bild passen. Punkt!

Deshalb appelliere ich hier besonders auch an die Väter da draußen: schenkt euren Söhnen Liebe, Anerkennung, Wertschätzung, Freiraum und Aufmerksamkeit. Nimmt sie in den Arm, sagt ihnen, dass ihr sie liebhabt und sprecht über Ängste und Sorgen genauso mit ihnen, wie mit euren Töchtern. Zuneigung bekommen die Jungs häufig nur von ihren Müttern, dass sollte sich ändern. Ihr müsst dafür euch erst einmal selbst zugestehen, Gefühle zu haben und diese offen zu zeigen, darüber zu reden und euch zu öffnen.

Eure Jungs müssen schon früh lernen, dass es ok ist, Gefühle zu zeigen und darüber zu reden. Intimität muss von euch vorgelebt werden. Nicht sexuelle Intimität, sondern gegenseitiges Vertrauen. Ihr müsst ein Umfeld schaffen, in denen sie Gefühle zulassen und ganz sie selbst sein können. Und das bedeutet vielleicht auch, dass euer Sohn statt zum Fußball lieber zum Ballett möchte oder gerne den Rock seiner Schwester trägt. Keiner sagt, dass das bedeutet, euer Sohn wird schwul. Euer Sohn tanz vielleicht einfach nur gerne. Und selbst wenn er schwul wäre, sollte das ebenfalls völlig in Ordnung sein. Denn wenn das so ist und sein sollte, habt ihr sicher nicht die Entscheidung getroffen, dass das so ist. Und sicher auch nicht dadurch, dass ihr ihn habt Röcke tragen & tanzen lassen.

 

Appell an die Frauenwelt

Und ich appelliere hier auch kurz an die Frauen da draußen – denn wir können dazu beitragen, dass sich dieses Phänomen “Toxische Männlichkeit” und deren Folgen verbessert. Das sich unsere Männer öffnen und wir alle gemeinsam mehr Lieben, Leben und Lachen können, weil niemand mehr in sich hineinfressen oder gar aushalten muss. Lasst eure Männer offen, sanft und liebevoll sein, ohne sie zu „belächeln“. Gebt ihnen die Chance, sich bei euch so wohl, sicher und geliebt zu fühlen, dass sie “Schwächen” zugeben und mit euch über alles reden können, was sie beschäftigt.  

FAZIT

Ich weiß, Männer haben es heutzutage sehr schwer, sich einzuordnen und für sich selber zu beschreiben, was ihre Männlichkeit ausmacht. Emanzipierte Frauen, die zum einen erobert und umgarnt werden wollen und zum anderen die Rechnung doch selber zahlen, weil sie schließlich selbständige Frauen sind. Ja, vieles ist verwirrend. Männer sind z. T. überfordert, weil sie nicht wissen, was von ihnen erwartet wird. Männer sind oftmals die Versorger, tragen viel Verantwortung und fühlen sich für vieles zuständig. Schließlich sind sie ja die Männer. Deshalb orientieren sie sich in ihrer Unsicherheit auch heute noch an veraltete Rollenbilder und Vorbilder, greifen auf Gelerntes in ihrer Kindheit zurück und versuchen, ihren Platz in der Gesellschaft und ihren Beziehungen zu finden.

Ich wünsche mir, dass die Angst die herrscht, Privilegien zu verlieren oder nicht als „richtiger Mann“ bzw. als „weiblich“ angesehen zu werden, weniger wird oder gar verschwindet. Die Erziehung sich ändert und sich mehr Eltern mit dieser Problematik befassen – Denn das alles schränkt eure eigene Individualität extrem ein.

In Liebe,
eure Isabel.

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Isabel Kulessa
Ich bin Autor dieses Artikels.
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